Haben Sie von der Geschichte mit Tal Silberstein gehört? Vermutlich, wenn Sie Medien konsumiert haben. Worum es dabei geht, wer in dieser Causa wer ist und warum das eigentlich wichtig ist – das ist schwer, noch zu sagen. Die „Affäre Silberstein“ gehört zu einem Thema, dem auch wir von Fakt ist Fakt uns zusammen mit der Journalistin und Autorin Ingrid Brodnig sowie der britischen Initiative Who Targets Me widmen.
Stark verkürzt lautet die Geschichte: Die SPÖ hat einen Wahlkampfberater engagiert, der mit anonymen Facebook-Seiten auf verwerfliche Weise Stimmung gemacht hat. Warum Facebook-Seiten und Werbung auf sozialen Medien jetzt zum Wahlkampfthema wird, sollten wir aber am besten von Anfang an erklären.
Was ist Targeting?
Um diese Geschichte zu verstehen, ist es wichtig, Facebook zu verstehen. Und so genau tut das eigentlich niemand. Denn wie das soziale Netzwerk „funktioniert“ – wie der Algorithmus arbeitet der steuert, wer welche Beiträge auf der Seite sieht –, das weiß niemand. Oder zumindest nicht genau.
Was man zum Beispiel weiß: Je mehr Reaktionen ein Beitrag hat, desto eher wird Facebook ihn auch anderen zeigen. Wenn deine Freunde, oder Menschen mit einem ähnlichen Nutzungsverhalten*, einen Beitrag mit „Gefällt mir“ markieren, die Reaktionen nutzen (z. B. die Emojis für „Haha“, „Love“ und „Angry“), ist es auch wahrscheinlicher, dass du am Ende auch den Beitrag siehst. Darauf kann man sich beim Vermarkten von Inhalten auf Social Media verlassen. Das ist aber nur eine grobe Angabe darüber, was der Algorithmus tut.
Nutzungsverhalten: Facebook weiß nicht nur, was den Nutzern gefällt – sondern auch, wie sie sich verhalten. Wann man eine Seite anklickt, welche Themen einem gefallen, welche Links man klickt, wie lange man auf Seiten bleibt, all das fällt unter das eigene „Nutzungsverhalten“.
Um mehr Kontrolle darüber zu haben, wer die eigenen Beiträge sehen soll – also auch sehen, wenn er die betreffende Seite nicht schon kennt und ohnehin sehen möchte –, kann man also Beiträge „targeten“. („to target“ = „zielen“) Facebook erlaubt Werbern, einzustellen, wen sie gerne erreichen würden, und bietet dafür verschiedene Angaben an.
Wie Targeting funktioniert
Die Standard-Einstellung für Werbung auf Facebook liegt meistens bei „Menschen in deinem Land zwischen 18 und 65 Jahren“. Die Gruppen, in die man User stecken kann, sind aber vielfältig. So kann man auch die Fans (die „Liker“) von gewissen Personen und Seiten liken – und demnach Menschen, die ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Sichtweise haben.
Nach der US-Wahl, die überraschenderweise Donald Trump für sich entscheiden konnte, wurde viel über den Einfluss von Targeting gesprochen. Der Artikel Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt von „Das Magazin“, der sich mit dem Targeting der Republikaner-Kampagne befasste, ging viral. Und für eine kurze Zeit glaubten viele – Journalisten, Politiker, andere Medienberufler –, dass Facebook alleine die Wahl entschieden hätte. Das wurde durch spätere Erkenntnisse relativiert.
Interessant sind die Praktiken, die gerade nach Trump diskutiert wurden, dennoch. Das im Bombe-Artikel beschriebene Unternehmen Cambridge Analytica beispielsweise arbeitet mit dem sogenannten „OCEAN“-Modell. Jeder Buchstabe dieser Abkürzung steht für eine „Persönlichkeitsdimension“. Erhebt man alle fünf Faktoren (Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus) für eine Person, ergibt sich ein ausführliches Profil, mit dem Menschen perfekt eingeschätzt werden können – so zumindest die Behauptung, die Idee.
Wie die Politik Targeting benutzen kann
Während „Big Data“ in den USA spätestens mit der Wahl von Barack Obama 2008 ins Standard-Repertoire einer Kampagne aufgenommen wurde, darf man wohl annehmen, dass man in Österreich noch nicht ganz so weit ist. Dennoch haben viele Politiker mittlerweile auch professionell gestaltete Auftritte in sozialen Netzwerken – allen voran natürlich Facebook. Im laufenden Nationalratswahlkampf wird viel über die Rolle von Social Media diskutiert, und auch Journalisten beobachten mittlerweile die steigenden Fanzahlen und Interaktionen von Spitzenkandidaten.
Zusammen mit Who Targets Me und Ingrid Brodnig arbeiten wir in diesem Wahlkampf daran, sogenannte „Dark Ads“ aufzudecken – wir wollen also wissen, welche Politiker welche Inhalte an ganz spezifische Publika über Facebook ausschicken. Der Unterschied zwischen ganz gewöhnlichen gesponserten Postings und Dark Ads ist der, dass Letztere ausschließlich für jene sichtbar sind, die in der gewünschten Zielgruppe sind.
Das eröffnet Möglichkeiten. So könnte ein Kandidat theoretisch verschiedene Botschaften auf einmal verbreiten. Politiker könnten der einen Gruppe „Refugees Welcome“ zeigen, während sie bei der anderen einen Zuwanderungsstopp fordern. Das wäre natürlich ein Extrembeispiel. Aber schon jetzt können Parteien quasi steuern, wie sie von welcher Zielgruppe auf Social Media wahrgenommen werden. Zumindest zum Teil.
Das Ausmaß an Dark Ads im österreichischen Nationalratswahlkampf beschreiben wir in anderen Artikeln genauer. Für Parteien ist für gewöhnlich aber vor allem relevant, dass man Menschen anhand ihrer „Gefällt mir“-Angaben nach politischer Meinung targeten kann – auch ohne Dark Ads, ohne andere Zielgruppen davon auszuschließen. Genau das war auch der Fall bei den betroffenen SPÖ-Seiten. Das trifft übrigens auch die, die gar keine Seiten liken – diese werden anhand von demographischen Merkmalen und Nutzungsverhalten getargetet.
Was hat das mit der Affäre Silberstein zu tun?
In diesem Fall haben die Seiten Wir für Sebastian Kurz und Die Wahrheit über Sebastian Kurz so ausgesehen, als seien sie sicher nicht von der SPÖ.
Wir für Sebastian Kurz sah aus wie eine übermotivierte, aber durchaus kompetent betriebene Fanpage für den ÖVP-Kandidaten, und postete hauptsächlich Beiträge gegen die SPÖ und Christian Kern. Es ist etwas ironisch, dass ein SPÖ-Wahlberater „Dirty Campaigning“ gegen den eigenen Auftraggeber macht – aber davon wusste die Partei angeblich ohnehin nichts. Es liegt der Schluss nahe, dass die Sozialdemokraten der ÖVP vorwerfen wollten, einen schmutzigen Wahlkampf zu betreiben.
Die Wahrheit über Sebastian Kurz dagegen war eine, ebenfalls von Silbersteins Team betriebene, Facebook-Seite gegen den ÖVP-Kandidaten. Was aus SPÖ-Sicht auch viel mehr Sinn macht. Das Problem dabei war und ist: Die Inhalte wurden so gestaltet, dass man schnell an die FPÖ als Urheber der Seite dachte.
Die Beiträge waren politisch rechts der Mitte positioniert, auch von antisemitischen Postings und Verschwörungstheorien war die Rede. So wurde Sebastian Kurz in Memes zum Beispiel ein Näheverhältnis zum ungarischen (und jüdischen) Milliardär George Soros nachgesagt. Handwerklich mag das vielleicht für eine sehr spezielle Gruppe geeignet sein – für die SPÖ, die mit Antisemitismus für gewöhnlich nichts zu tun haben will, ist das aber eine höchst fragwürdige Praxis.
Da Facebook-Seiten prinzipiell anonym sind und man, anders als bei gewöhnlichen Websites, kein Impressum braucht, flog die SPÖ-Praxis nur durch Leaks auf. Ein Verzeichnis darüber, wem welche Seiten gehören, gibt es auf den gängigen sozialen Medien nicht.
Zusammenfassend: Warum ist das also wichtig?
Mit Targeting können Politiker auf Social Media theoretisch jedem genau die Botschaften zeigen, die man sehen möchte. Das ist nicht immer verwerflich – es eröffnet aber einige Möglichkeiten, die bedenklich sind. Dirty Campaigning unter falscher Fahne ist nur ein Beispiel davon. Man könnte auch irgendwann Kandidaten haben, die jeder Wählergruppe online einen ganz anderen Wahlkampf präsentieren – und die sich irgendwann nicht mehr zu ihrer „echten“ Position äußern müssen.
Wenn ihr mithelfen wollt, die „Dark Ads“ und das Targeting vonseiten der Politik aufzuzeigen, dann holt euch das Browser-Plugin von Who Targets Me. Wir bekommen dadurch keine personenbezogenen Daten von euch – das Tool speichert lediglich, wann welcher Politiker welche Botschaft in euren Facebook-Feed spült. Und warum.
Das führt uns zum nächsten Punkt: Wenn ihr selbst erfahren wollt, was ihr aus welchem Grund auf Facebook seht, könnt ihr das mit einem Klick rechts oben in Facebook-Postings herausfinden. „Warum sehe ich das?“ gibt Auskunft darüber, in welcher Zielgruppe man sich befindet. Viele davon dürften einfach Österreicher zwischen 18 und 65 sein – aber vielleicht sieht man auch als einziger die Werbung. Und genau das wollen wir wissen. Unsere Resultate seht ihr hier.
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