In den Niederlanden ist zurzeit ja einiges los: Nachdem der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und die Familienministerin Fatma Betül Sayan Kaya, die zwecks Referendumswahlkampf in den Niederlanden auftreten wollten, abgewiesen wurden, ist der Ton zwischen den beiden Ländern eisig. Präsident Erdogan heizt den Konflikt weiter mit Nationalsozialismus-Vergleichen an, droht mit Klage vor dem EuGH und Sanktionen für niederländische Diplomaten.

Aber auch die Niederlande reagieren mit deutlichen Worten. Ministerpräsident Mark Rutte schließt eine Entschuldigung strikt aus und schlägt zunehmend in dieselbe Kerbe wie Rechtspopulist Geert Wilders, der meinte:

„Ich sage allen Türken in den Niederlanden, die mit Erdogan übereinstimmen: Geht in die Türkei und kommt nie mehr wieder!“

Doch warum das Säbelwetzen? Einer der Gründe für die diplomatische Eskalation ist sicher innenpolitischer Natur. Erdogan will sein Referendum gewinnen und in den Niederlanden wird am 15. März gewählt.

12,6 Millionen Wahlberechtigte haben am Mittwoch die Wahl zwischen 31 Parteien. Dabei wird über die Besetzung der 150 Sitze der Tweeden Kamer, des Repräsentantenhauses, entschieden. Das Parteiensystem ist dabei weitaus zersplitterter, als man das aus Österreich kennt. Eine kurze Übersicht zur Orientierung über die bei der letzten Wahl 2012 stärksten zehn Parteien:

 

VVD – Volkspartij voor Vrijheid en Democratie („Volkspartei für Freiheit und Demokratie“)

Die 1948 gegründete, liberal-konservative Partei wird von Ministerpräsident Mark Rutte geführt und ist seit 2010 stärkste Partei in der zweiten Kammer. Grundsätzlich spricht sie sich für eine liberale Marktwirtschaft und die Eigenverantwortung der BürgerInnen aus, setzt auf Rückbau des Wohlfahrtsstaates und befürwortet Homosexualität.

PvdA – Partij van de Arbeid („Partei der Arbeit“)

Wie der Name bereits erahnen lässt, ist zentrales Anliegen der sozialdemokratischen Partei unter Lodewijk Asscher die Schaffung von Arbeitsplätzen. Die PvdA ist proeuropäisch, propagiert Gleichberechtigung und ist mit einigen Einschränkungen auch für die Aufnahme von Flüchtlingen. Die Wählerschaft setzt sich aus eher einkommensschwachen Gruppen in Großstädten zusammen.

PVV – Partij voor de Vrijheid („Partei für die Freiheit“)

Die freiheitliche Partei ist Onemanshow von Geert Wilders. Das ehemalige VVD-Mitglied hat sie 2004 gegründet und ist seither überaus erfolgreich. Bekannt ist die PVV vor allem durch die aufsehenerregenden Äußerungen von Parteichef Wilders, von einer Osteuropäerbeschwerdestelle 2012, über die sogenannte „Kopflumpensteuer“ für Kopftuchträgerinnen oder Äußerungen gegen Marokkaner und den Islam. Viele sehen die Wahl als Auseinandersetzung zwischen dem regierenden Mark Rutte und ihm.

SP – Socialistische Partij („Sozialistische Partei“)

Die nach Mitgliederzahlen drittgrößte Partei wurde 1972 gegründet und schickt als Kandidaten Emile Roemer ins Rennen. Auch, wenn seit den Anfängen der Partei die revolutionären Konzepte abgenommen haben, bleiben Unterschiede zwischen Armen und Reichen, Menschenrechte und Bildung die zentralen Themen der Sozialistischen Partei. Der EU steht die SP kritisch gegenüber.

CDA – Christen Demokratisch Appèl („Christ-demokratischer Aufruf“)

Seit der Abwendung von explizit religiösen Inhalten 2012 fokussieren die Christdemokraten auf Themen wie Familie, Bildung und Vereinbarkeit von Beruf und Kindern. Dabei steht die 1980 gegründete Partei der Europäischen Union äußerst positiv gegenüber. Spitzenkandidat ist Sybrand van Haersma Buma.

D66 – Democraten 66 („Demokraten 66“)

Die linksliberale Partei gilt als Partei der Mitte und beansprucht Themen wie Bildung, Gesundheitssystem und Kultur für sich. Die 1966 gegründete Partei tritt proeuropäisch auf und wird von Alexander Pechtold vertreten.

CU – ChristenUnie („Christliche Union“)

In sozialen Themen steht die christliche Union eher den linken Parteien nahe. Gleichzeitig vertritt sie aber den Standpunkt, dass die Regierung auf dem Christentum fußen solle. Die europakritische und monarchiefreundliche Partei strebt allerdings, anders als die CDA, keine Theokratie an.

GroenLinks („Grünlinke“)

Die Schwerpunkte von GroenLinks sind Umweltschutz, saubere Energie und nachhaltiger Verkehr. Dadurch sollen auch mehr Arbeitsplätze geschaffen werden. Der Sparpolitik der liberalkonservativen Parteien steht die Partei kritisch gegenüber, der EU und Einwanderung hingegen positiv.

SGP – Staatkundig Gereformeerde Partij („Reformierte Politische Partei“)

Die wertkonservative, orthodox-calvinistische Partei orientiert sich in ihrem Parteiprogramm stark an der Bibel. So sieht sie etwa den Islam, Homosexualität und Feminismus äußerst kritisch. Bis 2010 waren etwa Frauen in Parteifunktionen verboten. Kernthemen unter Spitzenkandidat Kees van der Staaij sind Ehe und Familie, Verschlankung der EU und keine Trennung von Kirche und Staat.

PvdD – Partij voor de Dieren („Partei für die Tiere“)

Das zersplitterte niederländische Parteiensystem kann sich auch eine Partei leisten, die sich hauptsächlich dem Tier- und Umweltschutz verschrieben hat und sich auch eher als Bekenntnispartei für diejenigen sieht, die im herkömmlichen Parteienspektrum nicht vertreten sehen. Teile der 2002 gegründeten Partei sind europakritisch.

 

Prognosenraterei

Doch wie sind die Karten für die einzelnen Parteien? Umfragen prophezeien ein knappes Match zwischen der VVD und Geert Wilders‘ PVV. In den letzten Umfragen liegt die Regierungspartei zwei bis vier Prozentpunkte vor der stärksten Oppositionspartei.

Bei der letzten Wahl war das noch PvdA, eine sozialdemokratische Partei. Diese liegt heute allerdings bei maximal 14 Prozent, während sich Rutte und Wilders beide in der Schwankungsbreite 20 bis 24 befinden. Eine Umfrage von I&O Research sieht sogar die Grünen gleichauf mit der PVV, demnach bekämen beide je 20 Sitze.

Seit Jahresbeginn hat Wilders in Umfragen durchschnittlich sieben Prozentpunkte verloren. Im Dezember und Jänner stand seine Partei teilweise bei über 30 Prozent mit einem Höchstwert von 36 – so gut war er bei einer echten Wahl allerdings noch nie. Gleichzeitig vertrauen viele den Umfragen nicht – sie hätten sich auch beim Brexit und bei Donald Trump geirrt. Der Peilingwijzer von Tom Louwerse fasst deshalb die wichtigsten Umfragen zusammen. Dort liegt die PVV wiederum an zweiter Stelle.

Insofern ist das medial verbreitete Bild von einer europäischen Schicksalswahl nur bedingt zutreffend. Selbst, wenn sich Wilders überraschend gegen Grüne und VVD durchsetzen könnte, würde es ihm wohl an Regierungspartnern fehlen. Auch wenn einige Umfragen Wilders durchaus ein gutes Ergebnis prophezeien, so ist seine Möglichkeit auf eine Koalition mit der in Sicherheitsfragen nahestehenden PVV ausgeschlossen: Rutte selbst beschrieb die Chance einer Zusammenarbeit mit „nicht als 0,1 sondern null Prozent“. Das Wahlergebnis ist also vor allem wegen seiner Symbolik international brisant, da es den Trend zum (rechten) Populismus weiter befeuern könnte.