Let’s face it: Journalisten machen Fehler. Es vergeht kein Tag ohne Rechtschreib- und Grammatikfehler in einer österreichischen Tageszeitung. Im Fernsehen verhaspelt sich einer, ein Name wird verwechselt. Über das meiste können regelmäßige Medienkonsumenten, wie ich einer bin, hinwegsehen. Nicht darüber hinwegsehen kann ich, wenn „Fake News“ produziert werden – und zwar von Medien, die ich eigentlich gerne lese.

Der Begriff „Fake News“ mag ausgelutscht sein. Und er mag auch eine böse Absicht unterstellen. In diesem Blogbeitrag beschäftige ich mich vermutlich eher nicht mit bewusst gestreuter Falschinformation, sondern mit einem journalistischen Recherchefehler. Menschen, die aus einer anderen politischen Bubble kommen, würden das aber sicher anders sehen.

Beim Schreiben der folgenden Geschichte hatte ich großen Spaß. Zum einen, weil ich einfach rechthaberisch bin, zum anderen, weil es um Memes gehen wird. Es geht los mit einem Artikel von VICE: „Wie ein lila Täubchen zum rechten Facebook-Meme wurde“. Und es klingt noch nicht mal annähernd so weird, wie es ist.

„Wie ein Täubchen zum rechten Facebook-Meme wurde“

Franz Lichtenegger, der öfter für die VICE schreibt, widmet sich also Trash Dove. Trash Dove ist ein Meme. Für die, die nicht wissen, was Memes sind: Die Kurzversion ist „lustige Bilder im Internet“, aber als weiterer Begriff kann alles ein Meme sein, was sich irgendwie in einer (Sub-)Kultur oder einer Gruppe quasi als „Insiderwitz“ etabliert. Internet-Memes, die jeder schon mal gesehen haben dürfte, sind zum Beispiel Success Kid und das Trollface. Und jetzt ist es eben ein Facebook-Sticker – die besagte lila Taube aus dem Titel.

Letztes Jahr gab es einen kontroversen Vorfall um ein Meme. (Sowas zu schreiben ist ziemlich cool. Ich hätte nicht gedacht, dass die jahrelange Meme-Sucht sich irgendwann journalistisch bezahlt macht.) Das Bild „Pepe The Frog“ wurde zum Hasssymbol erklärt, da es mit der Alt-Right (der „neuen Rechten“, einer vor allem in den USA bekannt gewordenen rechten Gruppe) assoziiert wurde. Die Geschichte dazu ist, dass in einem Image-Board immer wieder neue Variationen des Memes gepostet wurden – keines durfte so sein wie das vorige. Irgendwann eskalierte diese Schlacht um die „rarest pepes“ und zeigte Pepe The Frog unter anderem als Hitler. Und außerdem benutzten viele Rechte diese Memes. Also: Hasssymbol.

Franz Lichtenegger verspricht im Titel eine Antwort darauf, wie sich die Rechten nun auch einen Facebook-Sticker unter den Nagel gerissen haben. Das „Wie“ wird aber nicht wirklich beantwortet. Nach einer Erklärung, was Trash Dove eigentlich ist, kommt dieses Conclusio:
vice_screen
Und erstmal: Damn Daniel ist nicht vergessen. Absolutely fucking not. Memes werden wirklich selten „vergessen“, denn sie etablieren sich immer in einem kleinen Kreis von Leuten, die absolut jedes Meme mitkriegen und die sie bei Gelegenheit recyceln. Aber davon abgesehen: Wo wurde bitte beantwortet, wie die Taube zum „Neonazi-Meme“ wurde?

Bevor das jetzt zu sehr nach Hate klingt: Ich mag die VICE. Ich hab auch selber dort Artikel veröffentlicht. Und ich hab auch nichts gegen Lichtenegger. Das alles ist jetzt nichts Persönliches. Aber trotzdem wollte ich das nicht ganz unhinterfragt lassen und hab den Autor einfach gefragt:

https://twitter.com/derSchett/status/833721163943645188

Im Bild sichtbar ist auch die Antwort von Lichtenegger: Ein Link zu einem Artikel auf Medium.com, wo jeder seinen eigenen Blog einrichten kann. Und jetzt wird die Geschichte weird. Der nächste Artikel der Reihe ist eine Achterbahnfahrt. Hier könnt ihr ihn selber lesen – vermutlich bemerkt ihr auch ohne mich, dass da was komisch ist.

„Right Wing Dove Squad: How Trash Doves Became The Symbol of The Alt Right“

Der Artikel fängt an und ich denke mir: „Legit.“ Überhastet schreibe ich auch Lichtenegger, dass ich nicht ganz zustimmen würde, aber für die Quelle danke. Erst später, als ich den doch recht langen Artikel nochmal ganz lese, fällt mir auf … was zur Hölle ich da gelesen habe.

Denn nur oberflächlich sieht das aus, als wäre es eine gute Geschichte. Es werden Definitionen und weiterführende Links geliefert, es werden Bilder eingebunden, die Alt Right-Memes zeigen, und es wird sogar in einem „UPDATE“ darauf hingewiesen, dass der Urheber der Trash Dove-Bilder nicht will, dass sie in diesem Kontext gezeigt werden. Die angebliche Autorin des Artikels, Quincy Frey, habe diese dann zensiert.

Aber wenn man nicht wie ich beim ersten Mal schlampig drüber liest, stößt man zuerst auf viele kleine Ungereimtheiten:

  • Die Bildunterschrift unter einem Pepe-Meme mit „The Hacker known as 4chan“ ist extrem falsch. 4chan ist eine Art Internetforum, das vor allem von Trollen und sehr gestörten Menschen benutzt wird.
  • „Engagierte, investigative Undercover-Meme-Journalistin“ klingt nicht nach einem Berufsbild, das man so herausprahlen will, wie es in diesem Artikel der Fall ist.
  • Der Screenshot einer Facebook-Konversation wird mit einem roten Balken und der Aufschritt „Zensiert: Böse Nazi-Taube“ überdeckt.
  • Die Alt Right nehme den „Normies“ ihre Memes weg. Niemand bezeichnet sich selbst als Normie. Normie ist in gewissen Kreisen von Internet-Trollen ein abwertender Ausdruck für „normale Menschen“, die sich durch ihre Humorlosigkeit auszeichnen.

Aber nachdem es sich steigert, wird es irgendwann nur noch absurd. Ein Absatz steht im Original so da: „My deep undercover investigative journalism has led me to a comment posted on a thread about Hitler on another thread about Kek taking the bog pill while Baneposting and praising Horus and Thoth on 4chan and the relevance to the hateful Hitler bird.” – wer alles verstanden hat, sollte sein Leben überdenken.

Im weiteren Verlauf des Textes lobt die Autorin noch den „Helden, der die freie Meinungsäußerung rettet“, ohne den der Artikel nicht möglich gewesen wäre – einen Typen auf Facebook, der meint, es handele sich bei Trash Dove um ein Nazi-Symbol. Dabei wird dieser Screenshot gezeigt:
fb
Und spätestens hier müsste man’s eigentlich merken. Der Artikel ist von keiner Quincy, sondern von einem Trump-Supporter Mitte 20, der sich herzlich darüber amüsiert, dass Leute im Internet sogar bei Facebook-Stickern „Nazi“ schreien. Im weiteren Verlauf geht es noch darum, dass die Netz-Nazis glauben, mit „Meme-Magie“ alte ägyptische Götter lebendig werden zu lassen. Und es wird sogar noch eine Liste mitgeliefert, welche Trash Dove-Variation für welche Variante der Judenvernichtung stünde. Kurz: Es ist absolut absurdes Trolling.

Es kann auch gut sein, dass Lichtenegger mich einfach nur trollt und ich mich bis jetzt zum Affen gemacht habe, aber bleibt noch kurz. Denn dieses Gerede von Shitposting, der Alt Right und „Meme Magic“ hat einen wahren Kern. Und der geht an den meisten Journalisten ziemlich vorbei.

Denn den „Meme War“, also Meme-Krieg, den die Trolle auf beiden Seiten immer wieder ansprechen und der auch einige Male ironisch von Beobachtern entdeckt wurde, den gibt es wirklich.

Willkommen im Meme-War

Über solche Internetphänomene kann man wohl nur sprechen, wenn man verallgemeinert. Und ich habe ehrlich gesagt nur einen groben Überblick über die rechten Troll-Portale, die im Internet groß sind. 4chan ist wohl der Anfangspunkt, Seiten wie HiddenLOL verbreiten rechte Propagandabildchen im 9gag-Format als „lustige“ Bildchen, die mit schwarzem Humor und Provokation spielen. Eines haben die meisten dieser digitalen Abgründe aber gemeinsam: Die rechten Trolle, die vom „Meme War“ sprechen.

Ein gutes Beispiel dafür ist ein the_Donald. Auf dem Social Network Reddit, das wie frühere Usenet-Gruppen noch im Wesentlichen aus einem Forum und einer Up-/Downvote-Funktion besteht, machen es sich Leute mit ähnlichen Interessen in „Subreddits“, also quasi Unterforen, gemütlich. Unter dem Subreddit r/the_Donald findet sich eine besondere Gruppe: Nämlich die derer, die Donald Trump gut finden.

Und das müsste einen nicht wundern, da der Präsident (fast) die Mehrheit der Amerikaner hinter sich sammeln konnte. Aber die Redditors sind anders. Auf r/the_Donald diskutierten zuerst einige Fans die Vorschläge von Trump und unterstützten sich gegenseitig in ihrem Hype. Heute ist der Subreddit mit über 370.000 regelmäßigen Besuchern ein Sammelbecken für Fake News, Verschwörungstheorien, Kritik an Mainstream-Media und Ablehnung des Establishments. Und sie alle feiern sich für ihren Sieg im großen Krieg.
4chan
Als „Meme War“ bezeichnen sie, unschwer zu erraten, den Wahlkampf zur US-Präsidentschaftswahl 2016. Sie inszenieren sich dabei als die unterschätzten Rebellen, die mit lustigen Bildchen und jede Menge Trolling das Establishment in die Knie gezwungen haben. Einen erwähnenswerten Überblick zu der Bedeutung dieser Memes für den Wahlkampf gibt die „Frankfurter Allgemeine“ – übrigens einer von sehr wenigen Artikeln, die Memes und Wahlkampf zum Thema haben.

The_Donald ist nicht alles, aber ein gutes Beispiel, das jedem frei zugänglich und einigermaßen intuitiv anzusehen ist. Es gibt natürlich Ecken im Internet (und vor allem im Darknet), wo der Diskurs noch wesentlich tiefer ist und wo auch 100-prozentige Neonazis Trump offen für seine und ihre eigenen rassistischen Motive preisen. Sie alle teilen nicht nur dieselbe politische Richtung, sondern auch dieselbe Sprache. Dieselben Insiderwitze, dieselben Bilder, dieselben Lieder, dieselben Memes. Pepe The Frog, Never Come Down – und jetzt hat ein Trump-Shitposter auch noch Trash Dove gekapert.
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Ein Haufen Meme-Lords gegen die Welt

Das ist natürlich Special Interest. Very Special Interest. Bilder im Netz verändern nicht die Welt, sondern die Politik tut es, möchte man sagen. Aber der Einfluss von Memes, viralen Inhalten und Humor generell auf Politik ist nicht zu unterschätzen. Auf r/The_Donald setzen sich die Shitposter auch nach der Wahl ihres Helden dafür ein, dass Rechte in aller Welt an die Macht kommen. In Frankreich zum Beispiel unterstützen sie Le Pen, deren Troll-Armee extrem gut aufgestellt ist. Und sogar Österreich war ihnen eine Erwähnung wert:
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Auf der anderen Seite gibt es auch linke Gehversuche mit dem, was die Rechten seit Jahrzehnten üben. Der Subreddit r/the_Schulz hat es von einer the_Donald-Satire zum ernsthaften Hype-Generator für den SPD-Kanzlerkandidaten geschafft. Dieser hat sogar mit einer eigenen Videobotschaft geantwortet. The_Schulz übernimmt die Memes der Rechten ganz gut und wendet sie gegen sie – das ist ein origineller Ansatz, der in diesem Fall einer gemäßigteren (wenn auch sicher auch ideologischen) Politik zum Aufwind verhelfen könnte. Eine andersdenkende politische Meme-Kultur steckt aber noch in den Kinderfüßen.

Wie ein Haufen Trolle in großen Gruppen die öffentliche Meinung beeinflusst und, obwohl eigentlich völlig losgelöst von ihr, in die „Popkultur“ einzieht – mit eigenen Memes und Symbolen, deren Stil man schon kennt – ist für viele ein völlig neues Thema. Gleichzeitig diskutieren wir nach wie vor über Fake News und unlauteres Internet-Marketing. Die Brexit-Entscheidung zum Beispiel wurde angeblich stark von Twitter-Bots beeinflusst, die deutsche AfD hat im Wahlkampf vermutlich dasselbe vor. Das alles stellt nicht nur Politiker, sondern auch Journalisten vor neue Herausforderungen. Denn es gibt eine laute, effektive Bubble, die Memes zur politischen Waffe macht und das Internet unglaublich professionell als Propaganda-Instrument nutzt.

Auch, wenn er auf Trolle reingefallen ist, hat Franz Lichtenegger also recht: Trash Dove ist ein rechtes Symbol. Und die Alt Right-Trolle werden sich weitere Symbole einverleiben. Vielleicht ist es auch keine gute Idee, dieses Narrativ einfach zu übernehmen, und vielleicht sollten wir alle wieder Pepe The Frog posten. Die eine Lösung kennen auch wir von Fakt ist Fakt nicht. Aber ein wichtiger Anfang ist es, darüber Bescheid zu wissen. Willkommen im Meme War.